Ohne kapitalgedeckte Altersvorsorge geht es nicht
Factbook-Editorial von Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup
Im Februar diesen Jahres hat die Deutsche Finance Group die in Kooperation mit dem Handelsblatt Research Institute erstellte Studie „Altersvorsorge und Vermögensanlage in Deutschland“ vorgestellt. Prof. Dr. Dr. h.c. Bert Rürup hat für dieses Factbook folgenden Artikel verfasst:
Editorial von Professor Dr. Bert Rürup:
Wer die Risiken von Altersvorsorgesystemen streuen will, sollte Umlageverfahren und Kapitaldeckungsverfahren kombinieren. Nicht zufällig ist weltweit die private Altersvorsorge der entscheidende Treiber der Aktienmärkte. Deutschland hat Nachholbedarf, denn derzeit stammen etwa 33 Prozent des Volkseinkommens aus Kapitaleinkommen, aber es sind nicht mehr als 17 Prozent aller Alterseinkommen kapitalgedeckt.
Altersvorsorge steht für eine Absicherung des „Langlebigkeitsrisikos“, konkret für die Gewährleistung eines ausreichenden Einkommensniveaus in der für den Einzelnen – glücklicherweise – durchweg unbekannten Zeitspanne zwischen dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben und dem Tod. Dieses Vorsorgeproblem stellt sich insbesondere für jeden, der seinen Lebensunterhalt aus Erwerbseinkommen bestreitet. Damit sind Einkommen gemeint, die aus dem Verkauf der körperlichen und geistigen Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt bestimmt werden und die, anders als Mieten und andere Kapitaleinkommen, mit dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entfallen.
Der Einzelne kennt die Dauer seines Ruhestandes – versicherungstechnisch seine „Restlebenserwartung“ – nicht. Deshalb kann ein Individuum weder effizient Altersvorsorge betreiben noch sich gegen Invalidität oder Rehabilitationsbedürftigkeit absichern.
Dazu ein kleines Gedankenexperiment: Robinson lebt allein auf seiner Insel, es ist kein „Freitag“ da, der ihn – in einem archaischen Umlagesystem – im Alter oder bei Invalidität versorgen könnte. Robinson muss, solange er noch jagen und sammeln kann, einen Vorrat an möglichst lange haltbaren Lebensmitteln für sein Alter anlegen – also Realkapitalbildung betreiben. Da Robinson aber nicht weiß, wie alt er wird, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass er entweder zu wenig „Kapital“ bildet und deshalb Hunger leidet und vorzeitig stirbt oder dass er früher als erwartet stirbt und seine Vorräte vergammeln. Im ersten Fall hätte Robinson zu wenig, im zweiten zu viel Konsumverzicht in jüngeren Jahren betrieben. In beiden Fällen wären seine Vorsorgeanstrengungen nicht zielführend gewesen. Auf unser heutiges Leben übertragen wäre unser Robinson im ersten Fall auf die staatliche Fürsorge im Alter angewiesen, im zweiten Fall hätte er ungeplante Erbschaften an vielleicht ungeliebte Verwandte hinterlassen.
In einem Kollektiv, das heißt in einer Versichertengemeinschaft, ist dies anders – und zwar umso besser, je größer diese Gemeinschaft ist. Denn je größer ein Kollektiv ist, desto genauer lässt sich die durchschnittliche Lebenserwartung der Mitglieder statistisch ermitteln. Und wenn jedes Mitglied dieser Versichertengemeinschaft nach Maßgabe der dann bekannten durchschnittlichen Lebenserwartung vorsorgt, können alle mit einer lebenslangen Versorgung rechnen – selbst jemand, der so alt wie Johannes Heesters würde.
„Die Absicherung im Kollektiv schafft Gewissheit.“
Allerdings steht der Gewissheit, den Anspruch auf ein lebenslanges Alterseinkommen zu haben, für jeden Versicherten notwendigerweise ein Risiko gegenüber: Das Risiko, dass er seine nicht an ihn zurückgeflossenen Vorsorgeprämien dem Kollektiv vererbt, wenn er vor Erreichen der durchschnittlichen Lebenserwartung stirbt. Diesem fundamentalen Unterschied zwischen individueller Vermögensbildung und kollektiver Altersvorsorge trägt das im Jahr 2005 in Kraft getretene Alterseinkünftegesetz Rechnung: Alle Ersparnisse, die der Bildung disponiblen und vererbbaren Vermögens dienen, werden vorgelagert besteuert, sie müssen also aus versteuerten Einkommen geleistet werden. Alle Einkommensbestandteile, die zum Aufbau einer lebenslangen Rente dienen, werden nachgelagert besteuert, können also aus unversteuertem Einkommen entrichtet werden. Dieser Betrag erhöht sich von Jahr zu Jahr und liegt in diesem Jahr je Steuerpflichtigem durchweg bei fast 27.000 Euro.
Auf dem eben erwähnten Prinzip des Risikoausgleichs, der für jeden Einzelnen Versorgungssicherheit im Alter garantiert, basieren die gesetzliche Rentenversicherung, die berufsständischen Versorgungswerke, jede private Lebensversicherung, jedes Betriebsrentensystem – kurz jedes beitragsfinanzierte System der Altersvorsorge. Alle Alterssicherungssysteme sind daher immer auch eine Art Wette auf den eigenen Todeszeitpunkt: eine unfreiwillige bei den obligatorischen Systemen, eine freiwillige bei den fakultativen Angeboten.
Alle Alterseinkommen sind risikobehaftet Versorgungsansprüche sind Ansprüche, deren Bedienung immer in der Zukunft erwirtschaftet werden muss. Deshalb sind alle Alterseinkommen, seien sie kapitalgedeckt oder umlagefinanziert, immer mit Risiken und Unsicherheiten behaftet. Die nach dem Umlageverfahren finanzierte gesetzliche Rentenversicherung stützt sich nur auf die nationalen Lohneinkommen, wenn man von Bundeszuschüssen und den Beiträgen für Kindererziehungsleistungen absieht. Daher sind die so finanzierten Renten zwingend mit Lohnsummenrisiken behaftet, die aus der Arbeitsmarktentwicklung, der Produktivität und der demografischen Entwicklung resultieren. Hinzu kommt eine Art „politisches Risiko“. Denn umlagefinanzierte Renten wie auch die Beamtenpensionen sind letztlich „Transfereinkommen“, deren Höhe und Dynamik über Formeln bestimmt werden. Diese Formeln sind immer nur temporär gültige politische Verteilungskompromisse, die von jeder Regierung verändert werden können. Diese Alterseinkommen können also in Grenzen durch politische Entscheidungen nach unten oder nach oben neu festgesetzt werden.
Im Unterschied zum Umlageverfahren greift das Kapitaldeckungsverfahren auf Kapitaleinkommen zu. Die Finanzierungsbasis dieser Alterseinkommen sind, je nach Anlage der Prämien, die nationalen und internationalen Kapitaleinkommen sowie die Erlöse aus dem Verkauf von Vermögenswerten. Dieses Finanzierungsverfahren ist deshalb zwingend mit Finanzmarkt- und gegebenenfalls auch mit Wechselkursrisiken, aber nur indirekt mit politischen Risiken behaftet.
Die private Altersvorsorge ist heute der entscheidende Treiber auf den Aktienmärkten weltweit. Pensionskassen aus den USA zählen direkt und indirekt zu den wichtigsten Aktionären von Dax-Konzernen. So wird etwa ein beachtlicher Teil der Altersversorgung kalifornischer Lehrer aus den Erträgen deutscher Unternehmen finanziert. Es ist wichtig, sich bei der Finanzierung von Alterseinkommen zumindest teilweise von der nationalen demografischen und wirtschaftlichen Entwicklung abzukoppeln. Darum ist es ein Fehler, eine Kapitalanlage von Prämiengeldern im Ausland über Gebühr zu erschweren. Die drei britischen Ökonomen Jayasri Dutta, Sandeep Kapur und Michael Orszag haben im Jahr 2000 gezeigt, dass unter dem Gesichtspunkt der Risikostreuung solchen Altersvorsorgesystemen der Vorzug zu geben ist, die auf eine Kombination aus Umlageverfahren und Kapitaldeckungsverfahren setzen. Allerdings ist es nicht möglich, ein zeitunabhängiges festes optimales Mischungsverhältnis zwischen Kapitaldeckung und Umlage zu bestimmen. Der Grund dafür ist, dass sich die Rahmenbedingungen im Zeitverlauf verändern, durch Faktoren wie
„Es gibt keine optimale Mischung von Umlage und Kapitaldeckung.“
den Bevölkerungsaufbau, konjunkturelle Schwankungen, den Strukturwandel, die Globalisierung oder auch die anstehende Digitalisierung. An der langfristigen Überlegenheit mischfinanzierter Altersvorsorgesysteme ändert die derzeitige Phase niedriger Zinsen auf halbwegs sichere Anleihen genauso wenig wie dies ein massiver Beschäftigungseinbruch täte.
Kapitalgedeckte Altersvorsorge ausbauen
Nach Angaben der OECD werden nur etwas mehr als 17 Prozent aller in Deutschland bezogenen Alterseinkommen nach dem Kapitaldeckungsverfahren finanziert, während der Anteil der Kapitaleinkommen am Volkseinkommen von etwa 25 Prozent Mitte der 1980er Jahre auf aktuell ein Drittel gestiegen ist. Solch ein schleichender Rückgang der Lohnquote und damit der Finanzierungsbasis von Umlagesystemen ist im vergangenen Vierteljahrhundert in der Mehrzahl der entwickelten Länder zu beobachten. Deshalb ist es gut, dass die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag vom November 2013 einen Ausbau der kapitalgedeckten Altersvorsoge vereinbart hat. Und es ist erfreulich, dass in der anstehenden Rentenreform einer Weiterentwicklung der kapitalgedeckten privaten und betrieblichen Altersvorsorge im Interesse einer „lebensstandardsichernden Gesamtversorgung“ ein hoher Stellenwert beigemessen wird.